Die Schenke - Reflexionen über einen Kostnix-Laden in Wien und den Zwiespältigkeiten einer umsonst-ökonomischen Praxis

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Das Schenke Kollektiv ist ein Kost-Nix-Laden mit einem dazugehörigen Café-Raum in Wien. Dies bedeutet, dass Menschen Dinge bringen können und Andere diese mitnehmen, ohne Geld, ohne Tauschlogik. Der Café Raum ist ausgestattet mit Bücherregalen (auch hier können Bücher mitgenommen und gebracht werden) und Sessel und Sofas. Ebenfalls gibt es einen Billardtisch und eine große Küche, in der an geöffneten Tagen des Kost-Nix-Ladens häufig gekocht wird. Auch im Café Raum besteht das Schenk-Prinzip, alle zahlen so viel sie wollen und können. Dass ein Café zum Kost-Nix-Laden gehört, ist auch darauf zurückzuführen, dass es schon bei der Raumsuche das Bedürfnis gab, einen Ort zu schaffen, in dem Menschen einfach sein können ohne konsumieren zu müssen. Das Café ist auch zum Austausch gedacht, um den Kost-Nix-Laden einzubetten. Ebenso wird das Café häufig Gruppen zur Verfügung gestellt, die keine Miete bezahlen können. So gab es einige Jahre eine selbstorganisierte Box-Gruppe, die sich in der Schenke getroffen hat, es werden Geburtstage gefeiert oder Filme gezeigt und Lesungen veranstaltet.

Der Raum wurde 2010 eröffnet und hat seitdem 2-3 mal pro Woche geöffnet – an einem der Tage mit einer F*L*I*T*-Einladungspolitik. Das bedeutet, dass an diesem Tag versucht wird einen geschützten Raum für Frauen*, Lesben*, Inter*- und Trans*-Personen zu schaffen. Männer, die sich mit ihrem zugeschrieben Geschlecht identifizieren, sind an dem Tag ausgeschlossen.

Die Idee der Schenke entstand aus dem Wunsch aus der Waren-Logik des Konsumierens auszubrechen und eine Alternative auszuprobieren, Raum zu schaffen, der etwas weniger von
kapitalistischen Handlungen durchdrungen ist, bzw. Momente des Nachdenkens in diesen Handlungen eröffnet (denn natürlich ist auch ein Kost-Nix-Laden in diese Verhältnisse eingebunden, allein schon durch die Miete, die jeden Monat bezahlt wird).

Was geschah mit der Schenke?

In der Schenke gab es in den letzten 1 1/2 Jahren viele schwierige Auseinandersetzungen, viele Prozesse, Frustrationen, mehrere ‚Zukunfts-Treffen‘, in denen auch immer wieder die Frage des ‚Aufhörens‘ aufgekommen ist.

Überforderung Einzelner, der Satz ‚Es braucht neue Leute, die mitmachen.‘ ist aus einem gefühlten Mangel an sich verantwortlich-fühlenden Personen oft gefallen.

Das ‚JA, wir machen weiter!‘, zu welchem es nach diesen Zukunfts-Treffen immer wieder gekommen ist, hat nicht so richtig funktioniert.

Es ist zu dem Punkt gekommen, dass Leute, die eigentlich nicht mehr in die Schenke eingebunden sein wollten, zum Teil aus schlechtem Gewissen und Pflichtgefühl, zum Teil auch ein wenig aus der Angst heraus, ‚dass dann alles zusammenkracht‘, weiterhin mitmachten. Dies hat eine lustvolle und bejahende Praxis in der Schenke, welche das Kollektiv einst miteinander teilte, nach und nach erstickt.

Schließlich haben alte Freund*innen der Schenke, die selbst einmal Teil des Kollektivs waren, aber mit einem mehrjährigen Abstand auf die Prozesse in der Schenke blicken konnten, die Krisenlage von außen benannt. Sie haben wichtige außenstehende Perspektiven aufgeworfen und eine punktuelle mediierende Begleitung des Kollektivs angeboten. Daraufhin hat ein Mediationstreffen stattgefunden, in denen mögliche Strategien besprochen wurden, um die Schenke neu aufzustellen. Auch hat dies denjenigen Personen, die sich aus der Schenke zurückziehen wollten, die Möglichkeit geboten Aufgaben abzugeben und partiell bis ganz aus verantwortlichen Positionen auszusteigen.

Nun hat sich ein „neues“ Kollektiv gegründet, in dem alles offen erneut zur Debatte stehen soll, auch die Nutzung des Raumes an sich wird neu verhandelt - ebenso ob die Idee des Kost-Nix-Ladens bestehen bleiben wird oder ob sich die Schenke in etwas Anderes verwandeln kann. Die Veränderungen und Bewegungen der Schenke laden dennoch zur Reflexion über die vergangene Zeit ein.

Es kann hier kein ganzheitliches Abbild der unterschiedlichen Diskussionen und Gefühle aufgezeigt werden. Sowohl Besucher_innen als auch diejenigen, die Teil des Kollektivs sind/waren haben hier verschiedene Blickwinkel. Uns ist bewusst, dass wir in dieser Reflexion ein sehr negatives Bild von der Schenke zeichnen. Es lässt nicht viel Raum offen, um auf all die wichtigen und positiven Prozesse und Erfahrungen einzugehen, die rund um den Raum und das Kollektiv Schenke stattgefunden haben. Diese gab es natürlich und sie sollen hier weder infrage gestellt noch relativiert werden.

In diesem Text versuchen wir einige Gedanken und Gefühle von uns, die wir diesen Text schreiben, ein wenig in Strukturen einzubetten und werden natürlich auch auf Debatten und Gespräche, die in der langen Schenke-Zeit aufkamen, zurückgreifen. Es ist der Versuch einzelne Aspekte und Dynamiken (und wir fassen hier nur einige wenige zusammen), die zu dieser ‚Neugründung‘ geführt haben oder zumindest Teil dieses Prozesses waren, zu reflektieren und unsere Unsicherheiten und Zweifel zu teilen.

Lustvoller Aktivismus vs. fehlende Ressourcen?

Viele, die das Projekt Schenke initiiert haben, waren bei den ersten Renovierungsarbeiten und bei der Raumsuche schon dabei und haben sich innerhalb der letzten zwei Jahre langsam zurückgezogen. War die Schenke in den ersten Jahren das ‚Hauptprojekt‘, in das Energie gesteckt wurde, waren im Laufe der Zeit viele auch in andere Dinge involviert, die viel Zeit und Energie in Anspruch genommen haben. Diese erste ‚Gruppe‘ an Leuten, war auch dadurch gekennzeichnet, dass sehr enge Freund_innenschaften entstanden sind und dadurch eine gewisse Geschlossenheit nach außen vermittelt wurde. Das hat es sicherlich schwieriger gemacht als ‚neue‘ Person in der Schenke ‚Fuß-zufassen‘. Es wurde hierüber auch immer wieder gemeinsam in Plena gesprochen.

Eine Antwort war ein ‚Buddy-System‘, das Leuten die neu dazu kamen eine Person an die Seite stellte.

Eine Antwort war ein ‚Buddy-System‘, das Leuten die neu dazu kamen eine Person an die Seite stellte, die für Fragen noch einmal mehr verantwortlich war und die Person auch generell unterstützen sollte einen schönen Einstieg zu finden. Dennoch wurde das Schenke-Kollektiv immer kleiner und die Verantwortlichkeiten in Bezug auf Raumerhaltung, Gestaltung von Plena und Kost-Nix-Laden-Alltag verteilten sich auf immer weniger Menschen. Das hat viel Energie gefressen, um über die eben genannten Aktivitäten hinaus die Schenke als politischen Raum zu gestalten, Dinge die sonst auch Spaß machen sollten, wurden zu einem weiteren Punkt, für den sich zu wenige Leute verantwortlich fühlten. Oft war es ein Gefühl von ‚Nur noch das Nötigste machen‘ und für alles darüber hinaus keine Zeit/Kraft/Lust zu haben. Dadurch ging auch nach und nach der Bezug zum Kollektiv verloren, weil es insgesamt wenig ‚gemeinsames Tun‘ gab. Ladendienste und Plena fielen oft spontan aus, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit nahm ab, was zu Frust auf allen Seiten führte und ‚neu‘ hinzugekommene Personen nicht mehr richtig einsteigen konnten.

Weil das politische Kollektiv sich dadurch auf einer Gefühlsebene auf Putzen und Kochen reduziert hatte [...] ging vielen die Sinnhaftigkeit in der Schenke verloren

Als gemeinsamer Bezugspunkt für das Kollektiv war lange Zeit das wöchentlich stattfindende Plenum, das sich abwechselnd mit Orga-Fragen und Theorie-Fragen beschäftigte und eigentlich sehr lustvoll konnotiert und gestaltet war, sehr wichtig. Doch irgendwann fiel es in der allgemein schleppenden Stimmung schwer selbst diese Struktur aufrecht zu erhalten. Besonders die Auseinandersetzungen jenseits der ‚Orga-Plena‘, in denen es immer viel um die Schnittstelle zwischen sozialer Praxis im Projekt und theoretischem Wissen, das hierfür auf dessen Nutzen für die Praxis diskutiert wurde und nach denen sich viele gesehnt haben, sind gänzlich weggefallen. Weil das politische Kollektiv sich dadurch auf einer Gefühlsebene auf Putzen und Kochen reduziert hatte und sich immer weniger mit strukturellen, gesellschaftspolitischen Fragen auseinandergesetzt hat, ging vielen die Sinnhaftigkeit in der Schenke verloren. Dabei gab es keinen Raum mehr, um sich gegenseitig zu unterstützen, gemeinsam zu reflektieren oder sich zu feedbacken, um gemeinsam zu lernen und Ideen und Visionen weiterzuspinnen.

Wessen Halbinsel? – Wessen Wohlfühlraum?

Im Schenke-Kollektiv gab es eine starke Homogenität. Gesellschaftlich privilegierte Positionen in Hinblick auf Klasse, Nationalität und weiß-sein haben diejenigen, die in die Orga-Arbeit eingebunden waren, größtenteils gekennzeichnet.

Auch deswegen konnten bestimmte Machtverhältnisse oft ausgeblendet werden und der Ort für die eingebundenen Personen in privilegierteren Positionen als ‚Wohlfühlraum‘ verstanden werden. Die teilweise Homogenität der ‚Orga-Gruppe‘ und die engen Beziehungen untereinander ermöglichten, sich selbst darin und die Atmosphäre im Raum nicht infrage zu stellen. In dieser ‚Wohlfühl-Dynamik‘ entstanden intensive Auseinandersetzungen miteinander, Nähe-Gefühle und tatsächlich wichtige Beziehungen, welche hier individuell/einzeln nicht infrage gestellt werden sollen. Vielmehr möchten wir eine bestimmte (Kehr-)Seite dieser Dynamik für den Raum und das Kollektiv reflektieren, in der es scheinbar besonders weißen Studis leicht fiel, sich darin zu bewegen, Verantwortung zu übernehmen und die politische Praxis auf eine bestimmte Weise zu gestalten (hierzu gehört sowohl die Ästhetik des Raumes, wie auch Szene-Codes, Sprechverhalten, Definitionen über angemessenes und unangemessenes Verhalten, Musik, aber auch die Schwerpunktsetzungen bei Veranstaltungen[1], Diskussionen...).

Innerhalb dieser Auseinandersetzungen, Veränderungen und Schwierigkeiten in der Schenke, fand - so scheint uns - in den Köpfen häufig eine Idealisierung des ‚früheren‘ Kollektivs statt. Diese ‚melancholisch-vermeidende Energie‘, in der immer wieder auf einen vermeintlich besseren Zeitpunkt in der Vergangenheit zurückgegriffen wurde, machte den Einstieg ins Kollektiv für neu Interessierte zusätzlich schwer und führte in der Gruppe zu immer mehr Stillstand.

Innerhalb der Schenke wurde auf Plena viel über die Inklusionen und Exklusionen des Kollektivs gesprochen. Es stellt sich die Frage, ob durch die Schwerpunktsetzung im Kost-Nix-Laden - also der Idee eine Alternative zur warenförmigen Gesellschaft zu erproben - bestimmte Menschen sich eingeladen fühlen konnten mitzumachen bzw. ob durch die Art und Weise der politischen Praxis in der Schenke Überschneidungen in Machtverhältnissen auf praktischer Ebene ausgeblendet werden konnten.

Ambivalente ‚Regeln’

Innerhalb der Schenke waren gesellschaftliche Hierarchisierungen zwischen denjenigen, die in die Organisation und somit Verantwortung eingebunden waren, und denjenigen, die als Besucher_innen viel in die Schenke kamen, offensichtlich. Es war deutlich, dass diejenigen die ‚organisierten‘ zum großen Teil in den privilegierteren Positionen waren und diejenigen, die Besucher_innen waren häufig durch Rassismus, durch Klassismus, durch Staatsbürger_innenschaft, durch Sprache deprivilegierte Positionen innerhalb der Gesellschaft zugewiesen bekommen hatten.

Exemplarisch für ein Zusammenkommen von Widersprüchen waren hier Diskussionen um die ‚5 Teile Regel‘.

Gleichzeitig fand zwischen Organisator_innen und Besucher_innen oft wenig Austausch statt, auch wenn dieser theoretisch angestrebt und viel diskutiert wurde. Kommunikation mit Besucher_innen wurde mehrfach nur dann gesucht, wenn es vermeintliche ‚Probleme‘ innerhalb der Räumlichkeiten gab. Die Unterschiede zwischen den regelmäßigen, ‚täglichen‘ Besucher_innen und den ‚politisch-aktivistischen‘ Veranstaltungen nach ‚Ladenschluss‘ waren enorm und konnten häufig nicht beide ‚zusammenbringen‘.

Es stellte sich außerdem von Seiten des Kollektivs zum Teil das Gefühl ein, in den Räumen des Kost-Nix-Ladens zum einen eine ungute ‚Aufpasser_innen‘-Funktion zu übernehmen und gleichzeitig nur als Dienstleistung wahrgenommen zu werden. Sprich aufzuräumen, was andere einfach am Boden liegen ließen, Teller und Gläser einzusammeln, zu putzen und zu kochen.

Exemplarisch für ein Zusammenkommen von Widersprüchen waren hier Diskussionen um die ‚5 Teile Regel‘. Ausgangspunkt derer war, dass Wenige sehr viel mitnahmen und Beschwerden von Besucher_innen an das Kollektiv herangetragen wurden, dass die Sachen weiterverkauft würden. Es würde dadurch nicht mehr um ein ‚gemütliches‘ Rumstöbern gehen, sondern um den ‚Kampf um die wertvollsten Gegenstände‘, sobald etwas ‚Neues‘ in die Schenke gebracht wurde.

Bald gingen auch im Kollektiv die Diskussionen los: Was ist dieses brauchen? Wer bestimmt, was wer braucht?

Zu Anfang war das Kollektiv relativ engagiert immer wieder zu betonen, dass jede_r nur so und soviel mitnehmen solle - eben soviel m* brauche. Bald gingen auch im Kollektiv die Diskussionen los: Was ist dieses brauchen? Wer bestimmt, was wer braucht? Was passiert mit der Idee eines Kost-Nix-Ladens, wenn einige Wenige sehr viel mitnehmen und diejenigen, die Dinge vorbeibringen, Stress bekommen, weil die ‚neue Ware‘ ihnen praktisch aus der Hand genommen wird? Wenn die Kabel von Elektrogeräten abgeschnitten werden, weil Kupfer „wert“voll ist? Was passiert wenn das Kollektiv beginnt durch diese Regeln zu bestimmen, dass alle nicht mehr als 5 Dinge pro Tag aus dem Kost-Nix-Laden brauchen? Brauchen denn alle dasselbe? Wer entscheidet denn hier überhaupt?

Rassistische Aussagen von weißen Besucher_innen, aber auch von Personen, die im Kollektiv mitmachten, die in diesen Diskussionen fielen, wurden entschieden unterbunden, waren aber natürlich auch Teil des Raumes und somit sehr ernst zu nehmen. Auf einer theoretischen Ebene wurde viel über rassistische Strukturen in der Schenke gesprochen, weiße Leute im Kollektiv setzten sich mit sich selbst auseinander, in der Praxis war der Output hingegen klein: es wurde darauf verzichtet weiter die 5-Teile-Regel durchzusetzen, sondern vielmehr diejenigen zu konfrontieren, die sich rassistisch – in Bezug auf das wer-nimmt-wieviel-mit – äußerten, weitere größere praktische Interventionen wurden jedoch nicht umgesetzt.

Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die gezeichneten Negativszenarien im Kost-Nix-Laden und im Kost-Nix-Café beim Aufgeben der 5-Teile Regel sowie auch beim Aufgeben, die Besucher_innen auf das Spenden hinzuweisen, nicht eingetreten sind. Weder wurde der Kost-Nix-Laden ‚leergeräumt‘ noch gab es je einen ‚Mangel‘ oder hatte die Schenke je besorgniserregende Finanzierungsprobleme.

Fragen und Unsicherheiten

In der umsonstökonomischen Praxis in der Schenke können Strukturen und Machtverhältnisse dieser Gesellschaft nicht aufgehoben werden. Ein Kost-Nix-Laden befindet sich sozusagen an der Schnittstelle zwischen Utopie und gesellschaftlicher Realität und birgt – wie es scheint – die Herausforderung sich in deren Widersprüchen zu bewegen. So zum Beispiel, dass einige in der Schenke quasi lohngearbeitet haben, während Andere, die mal etwas vorbeibringen oder etwas rumstöbern eine ‚andere’ Logik erwarten und die ‚Geldlosigkeit‘ in der Schenke hervorheben. Schenklogik und Bedürfnisorientierung funktionieren für unterschiedliche Personen verschieden; durch die unterschiedlichen gesellschaftlich zugewiesenen Positionen. Wir fragen uns, können es sich bestimmte ökonomisch-privilegierte Positionen ‚leisten‘ sich im Fall der Schenke, von der Logik des Wertes gestört zu fühlen? Weil sie ansonsten ‚eh genug‘ haben und sich das, was die Schenke nicht bereitstellt, selbst leisten können?

Ein Kost-Nix-Laden befindet sich sozusagen an der Schnittstelle zwischen Utopie und gesellschaftlicher Realität.

Wer mit welchen Erwartungen und Absichten in die Schenke kommt, ist sehr abhängig von der gesellschaftlichen Position.

Was bedeutet das für eine schenkökomische Utopie und Praxis?

Und was bedeutet es für die Theoretisierung von Schenkökonomie und Tauschkritik Klassismus und Rassismus nicht bloß ‚mitzudenken‘, sondern als ein Fundament unserer Gesellschaft zu betrachten? Können diese Erfahrungen in der Praxis irgendwie in wert- und tauschkritische sowie solidarökonomische Theoriebildung einfließen? Was bedeutet das Zusammendenken von Kapitalismus und Rassismus für eine nicht-kommerzielle, schenkökonomische Praxis? Ist eine praktische politische Antwort auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse vielleicht gerade nicht eine Schenklogik im Sinne der Überwindung der Warenform, sondern eher eine Um-verteilung? Muss beides miteinander und nebeneinander bestehen können? Was ist der Unterschied zur Caritas, wenn es so verstanden wird?[2]

Gesellschaftliche Ausschlüsse wie Rassismus sind in Theorie und Praxis nicht als Nebenwidersprüche kapitalistischer Strukturen zu verhandeln, sondern zentrale Bedingung dafür und können sich auch in Kost-Nix-Läden reproduzieren. Antirassismus und Antiklassismus müssen grundlegend in eine schenkökonomische Theorie und Praxis mit einfließen. Wer spricht von welchem Standort? Wer entscheidet? Wer ist eingeladen? Wer fühlt sich eingeladen? Wer übernimmt Verantwortung? Wer theoretisiert? Wie sprechen wir? Welche Codes werden produziert, die Ausschlüsse bringen? Welchen ‚Style‘ soll der Kost-Nix-Laden haben? Wessen Sprache sprechen wir? Wer ist bereit zuzuhören? Dazuzulernen? Das bisherige Kollektiv in der Schenke hat sich zwar viel mit diesen Fragen auseinandergesetzt, es war jedoch häufig schwierig, sie in die Praxis umsetzen.

Auch Fragen zum gefühlten ‚Ausbrennen‘ eines Kollektivs sind hier sicherlich wichtig zu stellen, ebenso wie der Zwiespalt Miete hereinbringen zu müssen und gleichzeitig ein umsonst-ökonomischen Projekt sein zu wollen sind Dinge, die ein Kollektiv immer wieder herausfordern. Wir werden diese Aspekte jetzt nicht weiter besprechen und lassen sie als Gedanken einfach stehen.

Fußnoten

Autor*innenbeschreibung

Der Text bezieht sich in seinen Aussagen auf die gefühlte Situation nach dem Ausstieg der beiden Autorinnen aus der Schenke, erste Textteile sind also schon vor etwa 2 Jahren entstanden. Lou und Gina waren zeitweilig Teil des Kollektivs Schenke, sie waren dort auch sehr stark in Organisationsarbeit eingebunden. Beide sind durch weiß-sein und eine akademische Ausbildung privilegiert.