Begriffe

[alle Artikel der Broschüre Ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück] Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"

Vorweg: Wäre ich nicht gefragt worden, hätte ich mir nicht angemaßt, all diese Begriffe definieren zu wollen – also, ich hoffe, es ist Euch hilfreich, aber bitte seht das Folgende nicht als ‚harte‘ Definitionen!

Solidarische Ökonomie ist der Überbegriff aller Ansätze, die der Konkurrenz im Kapitalismus etwas entgegensetzen. Allerdings wird er nicht zuletzt für Genossenschaften benutzt, ebenso für Kollektivbetriebe, welche oft nur intern die Konkurrenz aufheben – auf dem kapitalistischen Markt bleiben Kollektivbetriebe diesen weiterhin ausgesetzt und so bleibt es in der Regel auch nicht aus, dass sich dies auch für die Kollektivistas bemerkbar macht.

Umsonstökonomie (Gratisökonomie) grenzt sich ab von Ansätzen Solidarischer Ökonomie, die über Geld funktionieren. Diese Entscheidung basiert nicht zuletzt auf jener Erfahrung mit Genossenschaften, die Franz Oppenheimer (später als ‚Oppenheimer Gesetz‘ bezeichnet) schon 1896 formulierte, nach einer empirischen Analyse in England: „Nur äußerst selten gelangt eine Produktivgenossenschaft zur Blüte. Wo sie aber zur Blüte gelangt, hört sie auf, eine Produktivgenossenschaft zu sein.“ Mit anderen Worten: Das Unternehmen geht pleite oder die kapitalistische Logik frisst sich in die solidarischen Strukturen hinein.

Mit anderen Worten: Das Unternehmen geht pleite oder die kapitalistische Logik frisst sich in die solidarischen Strukturen hinein.

Um dies auszuhebeln, basiert Umsonstökonomie auf der Grundidee, Nehmen und Geben zu entkoppeln. Hierin spiegelt sich ein wertkritischer Politikansatz: Während selbst in Tauschringen menschliche Eigenschaften und menschliches Tun als abstrakte Werte getauscht und damit letztlich auf ihren Wert reduziert werden, wird in der Umsonstökonomie diese Tauschlogik überwunden.

Von Umsonstökonomie wird gesprochen, wenn das Prinzip der Offenheit bewahrt wird; somit ist dieser Ansatz ebenfalls von Formen Gemeinschaftlicher Ökonomie (z.B. in Kommunen mit gemeinsamer Ökonomie) zu unterscheiden. Dort findet die Entkoppelung von Geben und Nehmen nur innerhalb einer fest umrissenen Gruppe statt. Das ist auch der entscheidende Unterschied zwischen der Umsonstökonomie und den allermeisten Ansätzen in den 1970ern. Das Prinzip der Offenheit ist damit auch das wesentliche Element, welches Umsonstökonomie heute politisiert.

In der Umsonstökonomie findet sich die Unterscheidung von Besitz und Eigentum, wie sie auch bei Commons wesentlich ist: Nicht das Eigentumsverhältnis zählt, sondern der Besitz, also wer etwas aktiv in Gebrauch hat. Ein Pullover bleibt aber durchaus auch im Besitz, wenn dieser mal im Schrank liegt, oder Wohnraum, während jemand im Urlaub ist. Doch fällt jemandem etwas aus dem Besitz, weil es nur noch nutzlos herumsteht, wird die Ressource freigegeben für eine andere Person – dafür sind Umsonstläden da. Besitz ist also nicht das Gegenteil von Eigentum; teilweise ist der Übergang fließend. Welche Besitzrechte bestehen, ist gesellschaftlich auszugestalten.

Commons ist das englische Wort für die deutsche Allmende, welches allerdings im Alltagsverstand sehr stark mit mittelalterlichen Landnutzungsrechten assoziiert wird. Commons wurde in den letzten Jahren überwiegend im Zusammenhang mit natural commons bekannt (das Klima, die Weltmeere etc., und damit Bereiche, in denen die klassische Wirtschaftstheorie versagt) oder mit digital commons (freie Software: Linux & Co); letztlich aber lässt sich alles als Commons fassen.

Peer bedeutet ‚ebenbürtig‘, also die Produktion ohne Zwang und Hierarchien. Der Begriff Commonsbasierte Peerproduktion stammt von dem US-amerikanischen Juristen Yochai Benkler und beschreibt die Art und Weise, in der freie Software-Produktion betrieben wird, ohne dass es eine hierarchisch gegliederte Organisation gäbe oder Äquivalententausch eine Rolle spielen würde.[2] Die Peerproduktion basiert auf Commons und produziert Commons.

Da aber auch kapitalistische Privatunternehmen häufig auf der Ausbeutung von Commons basieren (in den Wirtschaftswissenschaften wären dies die ‚externen Kosten‘, die durch Umweltverbrauch etc. von der Gesellschaft zu tragen sind), spricht bspw. Silke Helfrich von ‚commons creating peer production‘ (commons-kreierende Peer-Produktion).[3]

Nicht-kommerzielles Leben ist nichts anderes, oder? Aber vom Wort her eigentlich etwas dünn... Wie wäre es stattdessen damit:

Commonismus wird u.a. von Benni Bärmann[4] synonym für commonsbasierte Peerproduktion verwandt – als offensichtliches Wortspiel mit Kommunismus. Tatsächlich kann mit dem Marx‘ schen Postulat „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ eigentlich nichts anderes gemeint gewesen sein.

Peercommony verbindet den Aspekt der Peerproduktion mit Commons und ist ebenfalls ein Synonym.

Ecommony, der Begriff von mir, ist ein weiteres Synonym, welches betonen soll, dass commonsbasierte Peerproduktion Potenzial für ein gesamtwirtschaftliches Wirtschaften hat.

Commonie ist der daraus entstandene Begriff des OYA-Herausgebers Johannes Heimrath für eine ‚Postkollapsgesellschaft‘. Die Commonie setzt sich aus Gemeinschaften (‚Commonien‘) zusammen.

PeerÖkonomie oder Peerconomy stammt von Christian Siefkes und bezeichnet ein Wirtschaftsmodell commonsbasierter Peerproduktion; allerdings beinhaltet es das obligatorische Ableisten ‚gewichteter Arbeitsstunden‘: Durch ein Aufgabenversteigerungssystem wird die Popularität einer Aufgabe gewichtet, und wenn sich mehr (Frei-)Willige melden als nötig, wird das Arbeitsgewicht gesenkt; wenn es nicht genug gibt, wird es erhöht. Heute jedoch grenzt sich Christian Siefkes selbst davon ab, er hält ein solches System nicht mehr für notwendig und glaubt ebenfalls, dass reine Freiwilligkeit die Grundlage für das Beitragen sein sollte.

Schenkökonomie überwindet nicht das Eigentum: geschenkt wird von privat zu privat. Faktisch aber wird dieser Begriff häufig unabgegrenzt oder sogar synonym zu Umsonstökonomie benutzt. Problematisch am Schenken ist es, dass in der Regel entsprechende Gegengeschenke erwartet werden.

Parecon – oder partizipative Ökonomie – stammt von Michael Albert, schon aus den Jahren, als weder Commons noch Peerproduktion breit diskutierte Begriffe waren. Es handelt sich dabei um keine geld- und tauschlogikfreie Vision.

Dennoch seien seine vier Kriterien kurz benannt:

  1. Selbstorganisation? in dem Sinne, dass die Entscheidungsbefugnis jedes und jeder einzelnen jeweils abhängt von dem Maße, in dem sie oder er von der Entscheidung betroffen ist;
  2. eine Arbeitsteilung, welche auf den jeweiligen Fähigkeiten aufbauend für jede_n einen fairen Anteil stupider und lästiger Routinearbeiten bereithält, als auch einen Anteil erfüllender und weiterbringender Arbeiten;
  3. eine Entlohnung, welche sich nach dem Einsatz und der ´Aufopferung´ ausrichtet;
  4. die Zuweisung von Ressourcen für die Produktion, welche auf dem Austausch von Wünschen und Möglichkeiten durch Konsument_innen- und Produzent_innen-Räten beruht.[5]

Wieder allgemeiner verwendet werden die folgenden Ausdrücke:

Eine Bedarfsökonomie stellt die Befriedigung des Bedarfs in den Mittelpunkt, im Unterschied zum Kapitalismus, dessen eigentliches, strukturell vorgegebenes Ziel die Mehrwertsteigerung ist. Bedarf ist zu unterscheiden von dem subjektiven Ansatz des Bedürfnisses wie bspw. im bedürfnisorientierten Wirtschaften (u.a. Carola Möller)[6]; es kann also bedeuten, dass es nicht dem Individuum obliegt, über seinen Bedarf zu bestimmen. Beide Begriffe bleiben hinsichtlich der Art und Weise der nicht-kapitalistischen Produktion eher unbestimmt oder werden unterschiedlich gefüllt.

Von Share economy/ Shareconomy ist die Rede, wenn Gebrauchsgüter gemeinsam gekauft oder gemeinsam benutzt oder verliehen (Sharing) werden. Der Begriff verbleibt nicht nur ebenfalls auf der Konsumseite, sondern kann auch kapitalistisch gefüllt werden, wenn z.B. durch Verleih Profit gemacht wird. Das gilt noch mehr für Collaborative Consumption (deutsch: Ko-Konsum). Hier geht es um den gemeinsamen Konsum von persönlichen Gegenständen, Fähigkeiten, Geld, Zeit sowie Produkten. Also “Mieten” statt “Kaufen” Aber auch hier sind die Grenzen zur Umsonstökonomie fließend.

Umgekehrt hebt der Begriff Beitragsökonomie (u.a. benutzt von Sigrun Preissing[7]) nicht die Konsum-, sondern die Produktionsseite hervor, und damit das Prinzip ‚Beitragen statt Tauschen‘. Menschen stellen ihre Produkte und Dienstleistungen der Gesellschaft „kostenlos“ zur Verfügung. Sie werden also abgegeben, ohne bezahlt zu werden.

Subsistenzwirtschaft ist jedes Wirtschaften jenseits des Marktes. Da in der realen Welt überwiegend Kleinbauern und -bäuerinnen subsistent leben (teilweise müssen), ist der Begriff bei vielen mit dem individuellen Kartoffelacker besetzt und damit gilt dieser von den sog. ‚Bielefelderinnen‘ Maria Mies, Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen in den 1980er und 1990er Jahren prominent vertretene Ansatz[8] vielen als nicht erstrebenswert. Veronika Bennholdt-Thomsen macht in ihren Schriften heute jedoch sehr deutlich, dass es generell um gesellschaftliche Produktion ohne Geld- und Tauschlogik geht[9] – und damit eigentlich wieder um ‚commons creating peer production‘.

CareCommony existiert nicht, würde aber die Verbindung mit dem ebenfalls in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum neu diskutierten Begriff Care verdeutlichen: den sorgenden Tätigkeiten, welche im Kapitalismus sich nicht gut produktiv verwerten lassen, und deshalb un- oder unterbezahlt auf unterprivilegierte Bevölkerungsteile ausgelagert werden – seien es Frauen, Schwarze Sklav_innen oder, heute zunehmend, Migrant_innen in internationalen Sorgearbeitsketten. Diese ausgegrenzte Seite drückt sich aus im fast synonym verwendeten Begriff der Reproduktion.

Christa Wichterich sieht u.a. als Gemeinsamkeiten zwischen Care und Commons die von der Marktlogik grundverschiedene Handlungsrationalität sowie den Fokus auf das Relationale, also auf die Beziehungen zwischen Menschen.[10] Während Peer-Produktion allerdings lediglich unter dem Aspekt des Nutzens für den einzelnen gedacht werden kann, bringt Care einen weiteren Aspekt mit hinein: Dass wir sind, weil andere sind (wie es die Schwarzen Gemeinschaften Kolumbiens ausdrücken). Und wenn es Care ist, einer Kranken Essen zu verabreichen, warum sollte es nicht Care sein, das Essen anzubauen? Entsprechend geht es um die Aufhebung dieser Unterscheidung, also um ReProduktion.

Und dann noch etwas: Hinsichtlich all dieser Begriffe mit ‚Ökonomie‘, ‚Economy‘ etc. und auch ‚ReProduktion‘ darin argumentieren viele, dass sich von einer ‚alternativen Ökonomie‘ gar nicht reden ließe; die Alternative sei vielmehr, Ökonomie als abgespaltene Sphäre aufzugeben.[11] Es ginge um „das Ganze des Lebens“ (Brigitte Kratzwald).[12]

Fußnoten

  1. Die Bezeichnung „nichtkommerziell“ ist im Rahmen der Entwicklung der „nichtkommerziellen Landwirtschaft“ auf dem Karlshof entstanden. Projekte, die sich von dem Experiment auf dem Karlshof inspirieren ließen, verwendeten dann auch diesen Begriff. Von Anfang gab es aber auch deutliche Kritik an dem Begriff. So sei er viel zu missverständlich.. In diversen theoretischen Arbeiten und politischen Diskursen werden ganz andere Begriffe verwendet. Deswegen haben wir Friederike Habermann gebeten, einen kurzen Überblick über mehr oder weniger verwandte Begriffe und Diskurse zu geben.
  2. mehr dazu im Buch Wealth of Networks von Yochai Benklers: http://www.benkler.org/Benkler_Wealth_Of_Networks.pdf
  3. https://commonsblog.wordpress.com/2013/05/17/jedes-commons-ist-sozial/
  4. Benni Bärmann: Commons? Commonism!: http://keimform.de/2007/commons-commonism/
  5. Diskussion zwischen Christian Siefkes und Michael Albert über Parecon und Peercommony: http://keimform.de/2013/parecon-versus-peer-produktion-teil-1/
  6. Carola Möller: Wirtschaften für das „gemeine Eigene“: Handbuch zum gemeinwesenorientierten Wirtschaften, trafo Verlag, Berlin 1999
  7. Sigrun Preissing: Beitragen und Tauschen. Transaktionsmodi, Wert(e), Personenvorstellungen sowie Beziehungen zwischen Mensch und Mitwelt in alternativökonomischer Praxis. Dissertation, Universität Halle-Wittenberg 2014
  8. Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies: Eine Kuh für Hillary. Die Subsistenzperspektive, Frauenoffensive, München 1997
  9. Veronika Bennholdt-Thomsen: Geld oder Leben – Was uns wirklich reich macht, Oekom Verlag, München 2010
  10. Christa Wichterich: Den Wachstumsimperativ unterbrechen, Zeitschrit Luxemburg, 2013
  11. Christian Siefkes: Wie der Kapitalismus entstand,
  12. Brigitte Kratzwald: Das Ganze des Lebens – Selbstorganisation zwischen Lust und Notwendigkeit, Ulrike-Helmer-Verlag, 2014
Autor*innenbeschreibung:

Friederike Habermann ist Volkswirtin sowie Historikerin und hat in Politischer Wissenschaft promoviert. Da sie schon als Studentin fasziniert von einem Philosophieprofessor erfuhr, der seine Stelle aufgab und in die Natur zog, hat sie die Phase der Universitätskarriere gleich übersprungen und lebt heute in einem Projekt im Wald bei Berlin. Dort widmet sie sich in Theorie und Praxis u.a. dem Thema Anders Wirtschaften.