Zur Finanzierung von NK-Projekten
[alle Artikel der Broschüre Ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück]In NK-Projekten soll das Geld möglichst keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen… so wünschen wir uns das. Im konkreten Alltag spinnen jedoch die Euros ein kräftiges Netz um die Vorhaben und definieren nachdrücklich den Handlungsspielraum und die Entwicklung! Ein unlösbarer Widerspruch?
Nicht ganz zufällig landet dieses Thema auf meinem Schreibtisch. Nicht nur, weil ich mich seit Jahren mit Projektfinanzierung beschäftige, sondern – so vermute ich – auch weil Fragen zur Finanzierung nicht sehr hoch im Kurs stehen und das begründet.
Die Motivation für eine Mitarbeit (nicht nur) in NK-Projekten ist individuell sehr unterschiedlich. Doch der Wunsch nach Betätigung ohne marktwillige Verwertungslogik, ohne Bezahlung, ohne marktförmige Betriebsstruktur und Leistungsanforderungen, letztlich also möglichst ohne direkten Geldeinfluss ist dagegen flächendeckend. Da entsprechende Freiräume in Deutschland momentan weder erstritten, besetzt, angeeignet oder sonst wie eigenmächtig akquiriert werden – jedenfalls nicht in einem systemischen Umfang – bleibt den Projekten nur die Pacht von Land, die Miete/Kauf von Gebäuden bzw. Räumen und der Kauf von Maschinen, Geräten, Fahrzeugen, Ausstattung, usw. Die Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit [1], die nahezu kostenlos Ressourcen ausleiht, bleibt wohl eine einmalige Ausnahmeerscheinung. Und letztlich ist da die Sicherung der Lebensunterhalte aller aktiv Beteiligten, die ihre Zeit, Energien und Arbeit einbringen, doch auf Kino, Socken und Smartphones nicht verzichten wollen oder können. Und schon stehen wir mittendrin im Thema Geld.
Im konkreten Alltag spinnen jedoch die Euros ein kräftiges Netz um die Vorhaben und definieren nachdrücklich den Handlungsspielraum und die Entwicklung!
Neben der politischen Überzeugung und dem praktischem Interesse, muss mensch sich seine Mitarbeit vor allem ‚leisten‘ können, die eigene Reproduktion so gestaltet sein, dass Zeit und Aufmerksamkeit in den Aufbau von Vorhaben investieren nicht nur gewollt, sondern auch gekonnt wird. Der Bezug von Hartz IV, Renten, Unterhalt durch die Familie, Erspartes, BAföG und Kindergeld gehören u.a. dazu, vor allem und in sehr großer Mehrheit Einkommen aus Lohnarbeit oder Selbstständigkeit bzw. Freiberufliche Tätigkeit ermöglichen dafür freie Zeit in recht unterschiedlichen Maßen. Gelegentlich gibt es auch Wohn- oder Lebensgruppen mit gemeinsamen Kassen im Hintergrund. Die weitestgehende individuelle Beschaffung der Mittel für den Lebensunterhalt trägt mit dazu bei, dass das Thema in aller Regel nicht sehr breit und ausgiebig in den Gruppen diskutiert werden muss, und deshalb auch in kaum einem Projekt konsequent angegangen wird. Das steht ganz im Gegensatz zur ausdrücklich kollektivierten, verantwortungsvollen und achtsamen Gestaltung aller gemeinsamen Arbeitsprozesse. Und das hat zumindest einen guten und sehr triftigen Grund. Denn dieser weitgehend individuell und persönlich organisierte Finanzrahmen garantiert im Gegenzug bedingungsloses Mitwirken, die persönliche Entscheidungsoffenheit, die Freiwilligkeit, die Loslösung von Einkommenserwartung und materieller Gegenleistung in den Projekten: die gefühlte Autonomie im Handeln, die in nichtkommerziellen Vorhaben gesucht, gefunden und auch gebraucht wird. Ob, wann, wieviel und wie lange und intensiv mein Engagement ausfällt, habe ich letztlich nur mir selber gegenüber zu rechtfertigen, niemand bin ich auf dieser Ebene gegenüber verpflichtet, niemand kann begründet Forderungen an mich stellen. Dauerhafte und strukturelle Verpflichtungen legen sich die Beteiligten höchstens selber auf, eingefordert werden kann und wird das nicht. Das sind individuell gesehen vergleichsweise bestechende und absolut selbstbestimmte Rahmenbedingungen. Nicht nur in nichtkommerziellen Strukturen.
Alles gut so? Weshalb sollte sich daran etwas ändern?
Mit Blick auf die Strukturen in vielen NK-Projekten sind dadurch deutliche Begrenzungen in der Entwicklung erkennbar. Z.B. durch die Notwendigkeit zum Geldverdienen ist die verfügbare Zeit limitiert, oftmals wenig planbar und gelegentlich durch berufliche Erfordernisse unvorhersehbar schnell zu Ende. Die Intensität der Mitwirkung, die Übernahme von Verantwortung, das Einhalten von Zusagen von Treffen oder Arbeiten, usw. unterliegen somit einer gewissen Unwägbarkeit, jedenfalls auf längere Sicht gesehen. Vielen verlangt das Engagement ohnehin eine wöchentliche Terminakrobatik und Tanz auf mindestens ‚zwei Hochzeiten‘ ab, die auf Dauer nicht als befriedigend und zudem verbreitet prekär erlebt werden. Besonders Mitstreiter_innen, die ihre Einkommenssicherung nahe an den Projektinhalten gebaut haben, können ein lautes Lied von dieser Konkurrenzsituation singen.
Die Gruppen haben in der Regel deshalb sozial, menschlich, arbeits- und planungsmäßig mit Diskontinuitäten und Fluktuation zu kämpfen
Die Gruppen haben in der Regel deshalb sozial, menschlich, arbeits- und planungsmäßig mit Diskontinuitäten und Fluktuation zu kämpfen. Abgesehen von dem großen Haufen nicht verrichteter Aufgaben, für die zur rechten Zeit die Hände häufig zu wenig sind. So vergammeln im Zweifel erntereife Kartoffeln in der Erde oder ein Posten gespendetes Bauholz geht verloren, weil kein Transport spontan organisiert werden kann. Vor allem übergreifende Experimente für beitragsökonomische Wirtschaftskreisläufe, in denen Ansätze nichtkommerziellen Handelns zumindest regional erprobt werden können, haben es so sehr schwer. Denn sie brauchen zur Entwicklung viel Zeit und dauerhafte Kontinuität. Der wirtschaftliche Aktionsradius jedes einzelnen Projektes ist aktuell u.a. deshalb nicht sehr viel größer als die Projektgruppe und der jeweiligen Sympathisanten-Satelliten selber. Das ist sehr viel und schon genügend ambitioniert. Es verbleibt im Freizeitbereich, sehr ambitioniert zwar, aber letztlich doch ein Hobby.
Es verbleibt im Freizeitbereich, sehr ambitioniert zwar, aber letztlich doch ein Hobby.
Es kann nicht wundern – mit Blick auf die allgemeine Projektfinanzierung – dass die Einwirkung und die Außendarstellung der Nk-Versuche auf unbeteiligte Dritte nicht besonders intensiv sind. Die Projekte sind fraglos Funkelsteine auf dem ruinösen Förderband universeller kapitalistischer Verwertung. Die Phantasie oder Ahnung, dass diese kleinen Inseln Keimzellen oder Labore für übertragbare Konzepte einer solidarischen und bedürfnisorientierten ‚anderen‘ Wirtschaftsweise sein können [2], wird so nicht gerade lebhaft beflügelt. Besonders wenn selbst die Akteure für sich selber mehrheitlich einen erhöhten geldlichen Aufwand für ihre praktische Mitarbeit konstatieren, als dass sich irgendwie nichtkommerziell und beispielgebend ihr Finanzbedarf erheblich und grundsätzlich reduzieren würde. Selbstverständlich ist das absolut kein Grund nicht weiter an den Diamanten zu schleifen, doch auch keiner sich zu wundern, warum der Kreis von Geldgeber_innen, Förder_innen und auch Mitstreiter_innen sehr überschaubar bleibt, die oftmals mehr staunend diese exotischen Gebilde wahrnehmen... toll, was ihr da macht!
...will ich mir meine persönliche, nichtkommerzielle Erlebniswelt, meinen selbstgewählten und -bestimmten Freiraum von anderen bezahlen lassen, die wahrscheinlich dafür abhängig Lohnarbeiten gehen (müssen)?
Auch die systematischen Anstrengungen einer öffentlichen Darstellung und damit die zielsichere Suche nach Finanzquellen erscheinen sehr blass. Sicher gehemmt durch die Furcht, dass finanzielle Unterstützer_innen diesen autonomen Enklaven Verpflichtungen auferlegen, Einfluss nehmen und am Ende sogar Ergebnisse sehen wollen könnten. Begleitet aber auch von der sehr berechtigten Frage: will ich mir meine persönliche, nichtkommerzielle Erlebniswelt, meinen selbstgewählten und -bestimmten Freiraum von anderen bezahlen lassen, die wahrscheinlich dafür abhängig Lohnarbeiten gehen (müssen)?
Und so ist ein sich selbst bestärkender Kreislauf geschlossen und das Dilemma bzw. die Grenzen nichtkommerzieller Experimente im real existierenden Kapitalismus beschrieben. Ohne grundsätzliche Finanzstruktur bleibt es bei anfälliger und diskontinuierlicher Arbeit, die kaum netzwirksame Wirtschaftsstrukturen realisieren kann und dadurch wiederum in der gesellschaftlichen Außenwirkung begrenzt bleibt.
Wenn diese Beschreibung auch nicht alle Details erfasst, doch grundsätzlich zutrifft, so muss zukünftig das Augenmerk verstärkt und mutig auch auf die finanzielle Verstetigung dieser wichtigen Experimentierfelder gerichtet werden. Die dabei zu bewahrende, weil tragende Originalität jedes einzelnen Projektversuchs verbietet es nach einer Universallösung für die Ausfinanzierung zu suchen. Eine breite, offene und damit zwangsläufige kontroverse interne Diskussion über die Motive und die vorhandenen Selbstverständnisse der Beteiligten ist eine unerlässliche und sinnvolle Grundlage für die Konstruktion passender und förderlicher Finanzierungsmodelle. Diese sind im übrigen in den Gruppen bereits alle bekannt: von Gemeinsamen Kassen[3], kollektives Geldverdienen, Arbeitskollektive, Aufbau dauerhafter Unterstützer_innenkreise, Entwicklung von erweiterter aktiver Beteiligung, gezieltes, beteiligungsorientiertes Einbeziehen von potentiellen Sponsoren, Verringerung des Geldbedarfes durch nichtkommerzielle Gegenseitigkeit im Alltag, bis hin zu Antragsstellung bei lokalen, regionalen, nationalen, internationalen Einrichtungen, Organisationen oder Behörden, usw.
Beispiel:
Die erste Organisation von Direktimport von Kaffee (Sandino Dröhnung) aus Nicaragua, die Vorbereitung von Solidaritätsbrigaden nach Nicaragua, die inländischen Öffentlichkeitskampagnen, etc. wurden nicht unwesentlich durch gemeinsames Taxifahren ermöglicht. Zunächst übernahm die Gruppe zwei Wagen eines Unternehmers, um diese selbstorganisiert auszulasten, später wurde daraus ein eigenes Taxikollektiv gegründet: wer nicht gerade Päckchen packen oder Veranstaltungen organisieren musste drehte am Lenkrad, bei viel Projektarbeit blieben die Taxen auch mal stehen, zu anderen Zeiten liefen sie dafür rund um die Uhr. Und jede/r hatte sein/ihr ausreichend und gemeinsam erwirtschaftetes Einkommen ... neben und für die NK-Arbeit.
Alle diese Wege müssen erwogen und differenziert beschritten werden, parallel oder nacheinander, je nach dem spezifischen Umfeld, der Arbeitsweise, der Ziele und der konkreten Bedarfe. Und nicht alle müssen bei allem mitmachen, unlösbare innere Widersprüche dürfen nicht zur Passivität führen. Und somit stehen wieder die Beteiligten selber persönlich im Fokus, wie viel traue ich mich, will ich mich stärker an das Projekt binden, meinen Unterhalt von Gruppenentscheidungen abhängig machen, meine individuelle Autonomie einschränken, mich mit anstrengenden Gelddiskussionen belasten ...? [4]
Beispiel:
die AlG I/HartzIV-Versicherung. Mehrere ‚Leistunsgbezieher_innen‘ in Nk-Projekten schließen sich zusammen und bauen mit kleinen monatlichen Beiträgen einen Risiko-Solifonds auf. Wenn Ärger, Trainingsmaßnahmen, Arbeitsvermittlung, ‚Qualifizierungsprogramme‘, etc. drohen, meldet sich der- oder diejenige kurzfristig und kurzzeitig ab, erhält in der Zeit Geld aus dem Fonds, um sich dann neu sortiert oder mit neuer Anschrift woanders wieder anzumelden ... bis zum nächsten Mal. Die in NK-Projekte investierte Arbeit läuft ungestört weiter!
Werden die vorhandenen Ressourcen jedes einzelnen Projektes gezielt genutzt und entwickelt, ist ein übergreifendes und gemeinsames Konzept für die Geldbeschaffung im Rahmen eines Nichtkommerziellen Netzwerks denkbar und aussichtsreich. Das alleinige Zusammenlegen mehrerer leerer Kassen hat selten zu deren Füllung und zu einem solidarischen Ausgleich beitragen können.
Wie heißt es so passend: beim Thema Finanzierung ist noch viel Luft nach oben!
Fußnoten
- 1. Siehe auch Warum entwickeln sich NK-Aktivitäten im Umfeld der PAG?
- 2. Siehe auch Keimform und gesellschaftliche Transformation
- 3. Siehe auch Kaskade
- 4. Siehe auch Geld für den persönlichen Bedarf?!
Autor*innenbeschreibung:
Wilfried Schwarz, seit 1977 durchgängig Mitarbeiter und Bewohner verschiedener Gemeinschaftsprojekte in Berlin (u.a. Bäckerei, Taxikollektiv und Stadtkommune)
Ab 1989 Mitglied im RGW Beratungsbüro Berlin für Selbstverwaltete Projekte und u.a. 2001 Gründungsmitglied der Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit.
Mein Beitrag wurde inhaltlich gespeist durch eigenes Erleben und den Erfahrungen aus den Beratungen von jährlich ca. 50 Projekten und Betrieben.