Wie(so) ich mich an die NKL ranrobbte
[alle Artikel der Broschüre Ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück]Im April 2013 bin ich zusammen mit anderen Verrückten auf den Karlshof in der Uckermark gezogen mit der recht vagen Idee, einen gemeinschaftlichen, nicht-kommerziellen Initiativen-Hof[1] zu organisieren.
Mit der Idee der Nicht-kommerziellen Landwirtschaft bin ich selbst 2006/2007 das erste Mal in Berührung gekommen, durch Besuche der damaligen Gruppe auf dem Karlshof. Später war ich hin & wieder bei den monatlichen Kartoffelcafés[2] in Berlin und backte mit der damaligen Berliner NK-Backgruppe.
Was mensch sucht…
Meine Motivationen, auf den Hof zu gehen, waren ganz vielfältig und nicht (nur) weil ich unbedingt ein nicht-kommerzielles Projekt aufbauen wollte.
Ich hatte wenig Erfahrung und viel Lust auf das Leben in und mit einer Gruppe, war sehr abgegessen von dem anstrengenden Aufbau einer Firma – die, wie ich lernen musste, wirtschaftlich nur erfolgreich sein oder bestehen konnte, wenn wir den ganzen Scheiß[3] selbst reproduzierten, den ich selbst am Kapitalismus kritisierte. Ich hatte Lust, aus der Stadt wegzuziehen, Lust auf Landleben und Landwirtschaft.
... und findet
Hier auf dem Hof zu sein, ermöglicht mir, auszuprobieren, wie ich mit anderen zusammen leben möchte. Dass auf dem Hof nichts für einen Markt produziert wird, Güter also nicht verkauft oder nicht vertauscht, sondern beitragsökonomisch[4] abgegeben werden oder der Subsistenz dienen, eröffnet einen besonderen Raum:
Nicht unter einem äußeren Effizienz-, Leistungs- und Verwertungsdruck zu stehen, erlaubt es uns, Menschen und deren Bedürfnisse und Bedarfe mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Einige allgemein hingenommene scheinbare Voraussetzungen oder Rahmenbedingungen[5] können als eben solche, als gesellschaftlich konstruiert, sichtbarer werden.
Genauso bietet sich Raum, bestehende Macht- und Diskriminierungsverhältnisse[6] zu benennen, zu bearbeiten und miteinander achtsame, diskriminierungsarme Verhaltensweisen zu üben.
Wir können versuchen, uns zu unterstützen, nur so viel tätig zu sein wie es uns gut tut
Konkret kann das heißen:
- Wir können versuchen, uns zu unterstützen, nur so viel tätig zu sein wie es uns gut tut, weil wir feststellen, dass Leistungsdruck und -ethik so stark verinnerlicht sind.
- Wir können uns leichter Zeit für Wissensvermittlung während der Produktion / des Anbaus nehmen. Ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Zugänge finden Platz und Tätigkeiten, z.B. kann sich die Arbeit mit Maschinen gemeinsam erschlossen werden.
- Oder wir können Zeit auf das Einüben von Formen des gemeinsamen Organisierens verwenden, Formen die z.B. auch leiseren und zurückhaltenderen Menschen Gehör verschaffen, die sensibel mit unterschiedlichen Positionierungen und Privilegien umgehen wollen oder Verantwortungen so zu verteilen, dass Überforderung und Hierarchiebildung entgegengewirkt wird.
- Oder uns in achtsamer, zugewandter Haltung üben, einander Zuzuhören und Konflikte besser zu bewältigen.
- Da es plötzlich für alle Tätigkeiten kein Geld gibt, nicht nur für reproduktive Tätigkeiten - wie z.B. Kochen, Putzen, Lebensmittelbeschaffung, Kinderbegleitung, sich um sich selbst oder andere kümmern - werden diese nicht zusätzlich abgewertet und können somit im Alltag leichter einen wertgeschätzten Platz finden.
- Auch mal Theorie lesen und die eigene Praxis immer mal wieder hinterfragen - uns die Zeit nehmen, die eigene Praxis entsprechend zu verändern.
und sonst so
Vieles davon steckt noch sehr in den Anfängen und die Langsamkeit der Entwicklung im Vergleich zu kommerzielleren und/oder hierarchischen Projekten auszuhalten, ist für mich auch eine Herausforderung.
Die Berührung mit der Nichtkommerzialität hat mich von Anfang an irritiert und herausgefordert.
Die Berührung mit der Nicht-Kommerzialität hat mich von Anfang an irritiert und herausgefordert. Und tut es noch immer. Aber auf dem Weg haben nicht nur ich mich, sondern auch meine Fragen sich verändert.
War es erst so was wie: „Kann das denn funktionieren?“:
- Wie bezahle ich dann meine Krankenkasse?
- Müssen das nicht total krasse Menschen sein - die nur so viel nehmen, wie sie brauchen?
- Und wieso überhaupt, nicht tauschen?
- Und diese ganzen so unterschiedlichen Menschen, warum soll ich mich grad mit denen zusammen organisieren?“
... ist es jetzt eher: „Kann das längerfristig funktionieren?“:
- Wie können größere Bauvorhaben realisiert & finanziert werden?
- Können „wir“ stabilere Strukturen bilden, die es noch mehr Menschen erlauben, sich abgekoppelter vom Markt zu bewegen oder wird es das Privileg Weniger bleiben?
- Hat nicht-kommerzielle Praxis Potential, gesellschaftlich relevant zu wirken?
- Können die „Aktiven“ eine Praxis finden, auch dauerhaft dabei zu bleiben und nicht nach ein paar Jährchen auszubrennen?
Die Liste der Fragen ließe sich noch um einiges ergänzen. Für die Auseinandersetzung mit jenen finde ich diese Broschüre einen wichtigen Impuls.
Fußnoten
- 1. Mehr zu den Bemühungen und Entwicklungen der Initiativen auf dem Karlshof findest du hier: Initiativenhof Karl/a/shof
- 2. Vernetzungs- und Verteilungstreffen für Interessierte & Unterstützende der Nicht-kommerziellen Landwirtschaft
- 3. z.B. a)Entscheidungen immer an möglichen Einnahmen, der „Wirtschaftlichkeit“, ausrichten zu müssen und nicht am inhaltlich sinnvollen b) letztendlich nicht den Menschen sondern nur dessen Leistung / Output im Blick zu haben und diesen maximal steigern zu müssen, c) ökologische oder soziale Nachhaltigkeit im Zweifel immer wirtschaftlichen Interessen unterordnen zu müssen uvm. Und sich selbst nicht durch beste Vorsätze diesen Dynamiken entziehen zu können, da wir alle an Märkten in Konkurrenz zueinander stehen...
- 4. Grundlegende Prinzipien wie ‚Beitragen statt Tauschen‘ und ‚Nutzung statt Eigentum‘ sind im Text Ecommony ausgeführt
- 5. z.B. für mein Tun muss ich eine Gegenleistung bekommen, die Höhe dieser Gegenleistung bestimmt den Wert meiner Arbeit oder wer viel leistet ist viel wert, darf vielleicht mehr entscheiden oder kriegt mehr Zugriff auf Ressourcen
- 6. z.B. Gender, Patriarchat, Rassismus
Autor*innenbeschreibung:
Undine ist irgendwie erst später mit linken Gruppen ernsthaft in Kontakt gekommen, lebt derzeit auf dem Karlshof, genießt vielerlei Privilegien (z.B. weiß, cis, mann, dt. pass, akademische Bildung) und übt den Umgang damit.